… da geht noch was …! Oft geht da immer noch was!
Judith und Sebastian
Judith und Sebastian haben Zoff. ImWechsel zwischen einander anschweigen und laut werden, versuchen sie dem Anderenklar zu machen: So geht’s nicht. Hören wir den beiden einen Moment zu. Judith: Das Haus kann im Chaosversinken! Überall liegen Sachen rum: Zeitungen, Kleider, Teller – Essen, wasin den Kühlschrank gehört! Und Sebastian sitzt im Wohnzimmer in aller SeelenRuhe, blättert in der Zeitung, verfolgt Fußball und bröselt Chips auf dem Sofa!
Sebastian: Judith kann von morgens bis abends im Hause räumen. Selten kann sie sichzufrieden geben. Selten kann sie in Ruhe sitzen bleiben: räumen, Essen planen,einkaufen, kochen … und dann unterwegs sein. Abends dann erschöpft im Bett.Licht aus.
Dann kehrt für eine gewisse Zeit Ruheein. Sie gehen einander aus dem Weg. Schweigen. Nach Tagen, vielleicht Wochen, setztder Teufelskreis wieder ein: ein Vorwurf folgt dem nächsten und Judith undSebastian schrauben sich wieder einmal spiralförmig an die Decke – entweder, indem sie einander anschweigen (kalter) oder lauthals angiften (heißer Konflikt).Das ist kräftezehrend und entmutigt auf Dauer, den Konflikt zu klären. Und untergründigwächst bei jedem Groll auf den anderen.
Anlässe zu solchen Streitereien existierenviele: Besuche bei Eltern, Absprachen bezüglich Familien, Kinder, Freunde, eigene und gemeinsame Termine, Sportverein, ehrenamtliches Engagement.
Was passiert da eigentlich? Schauen wir den Teufelskreis einmal genaueran.
In jedem Vorwurf steckt eineAbwertung des Partners. Jeder Partner empfindet diese Abwertung als Bevormundung.Sie löst Unverständnis aus. Und dies kann er keinesfalls auf sich sitzen lassen:undenkbar! Als Erwachsener! Also setzt er sich auf die gleiche Stufe undplatziert seinerseits einen Vorwurf. Jetzt setzt das spiralförmige Aufschaukelnvon Abwertung und Bevormundung ein.
Augenhöhe, Gleichwertigkeit,Gleichberechtigung, dass wünschen sich Partner voneinander!
Vorwürfe können enorme Gefühlefreisetzen, Gefühle des Selbstzweifels und Selbstentwertens, der Angst, Traueroder Wut, der Scham und Schuld … Doch hinter diesen Gefühlen liegen verborgeneWünsche, Wünsche, die einem oft nicht so bewusst sind oder die man kaum zuäußern wagt, weil schon so viele Versuche, sie zu benennen, kaum Erfüllungfanden.
Judith möchtees gerne zum Wohl fühlen gemütlich haben. Dazu braucht sie eine gewisse,geordnete Atmosphäre mit hübschem Assessor. Und da Sebastian beruflich viel unterwegs ist, bleibt Einkaufen Kochen anihr hängen. Es ärgert sie, wenn er Chips auf dem Sofa zerbröselt. Da erlebt siesich nicht gesehen. Mal einen Blumenstrauß und sonst nix sagen, reicht nicht.Doch anderseits: sie beneidet Sebastian!Der kann sich unbekümmert mitten im Chaos entspannen. Das, würde sie auch gernekönnen wollen!
Sebastian seinerseitsärgert die ‚Betriebsamkeit‘ mit der Judith durch das Haus wirbelt. Dies treibtihn manchmal regelrecht aus dem Haus. Vorsicht: wenn er ihr etwas im Hauseabnahm, dann fällt ihr etwas Neues ein, womit sie sich zusätzlich beschäftigt.Also wieso sich ins Zeug werfen! Dann lieber gleich aufs Sofa. Er wünscht mehrZweisamkeit und für Judith, dass sie mal mehr liegen lassen kann. Das eine oderandere würde er gerne übernehmen – auf seine Art – und nicht gleich wieder eineHandlungsanweisung hören.
Sie werden sich fragen: Wieso erzähltder das eigentlich am Valentinstag? – Heutewollen wir den Himmel voller Geigen hängen, uns erinnern, was jeder von uns und wir gemeinsam geschaffenhaben, Krisen gemeistert, uns zusammengerauft haben. Wir wollen den heutigenTag zum Anlass nehmen einander zu danken und zu stärken! Und dann solche Kost!
Ja. Der Valentinstag ist ein guterAnlass zu erinnern, was Sie aneinander wertschätzen – und den Anfang zuerinnern, wie Sie sich kennenlernten. Denn diesem Anfang wohnt ein Zauber inne und darin vor allem: sich das Bereicherndeam Anderssein des Partners wachzurufen.
Judithverzauberte die Leichtigkeit und Zielstrebigkeit von Sebastian. Sebastian verzauberte die wohnfühligeSinnlichkeit und inspirierende Klarheit von Judith miteinander zu leben, sichverwurzeln zu können und er gleichzeitig ausschwärmen kann – mit guten Gründe.
Und manchmal wünschen Sie den Partneranders – wie Judith und Sebastian. Jeder zerrt dann am anderen, will ihnerziehen: er/sie soll endlich so werde, wie Sie sich das vorstellen. DieErziehungsmethoden sind dabei vielfältiger Natur: Schweigen, Flüchten, zutexten, Laut werden, Fakten schaffen etc.
In diesem Vorhaben liegen Tücken. Denndas, was ich gerne beim Anderen anders hätte, ist meist das, was ich für michselbst zu verändern habe. Gebe Gott, dass Sie nicht so werden wie Ihr Partner.Doch er hat etwas, wovon Sie sich eine Scheibe abschneiden können – zum WohleIhrer Partnerschaft.
Judith beispielsweiseübernahm als Älteste viel zu viel Verantwortung und Versorgung in ihrerHerkunftsfamilie. Sebastian alsJüngster in seiner Herkunftsfamilie lernte es, die Versorgung zu genießen unddie Sachen um ihn herum entspannt anzugehen.
Gemeinsam haben sie das ThemaVersorgung – nur tragen sie es gegensätzlich aus! Judith sorgte sich aufopfernd um ihre Herkunftsfamilie und erfuhrdort zu wenig liebevoll umsorgt zu werden. Sich um andere kümmern und sorgenist wie ein innerer Antreiber, den sie kaum abschütteln kann. Sie lernte dabeinicht, sich zurückzuhalten, anderen die Verantwortung zu lassen. Durch das Verhalten von Sebastian fühlt siesich aufgefordert, sich noch mehr aufzuhalsen.
Sebastian kannkaum verstehen, wieso Judith sich so viel um andere sorgt, für andere denkt, sichum andere kümmert. Einfach mal laufen lassen und abgrenzen. Das regelt sichschon. Der Antreiber von Judith ärgert ihn. Er fühlt sich von diesem oftkontrolliert. Das erinnert ihn an seine Herkunftsfamilie: einerseits wurde ihmals Jüngstem viel hinterhergetragen (verwöhnt) und andererseits war es seltengenug, wenn er sich einbrachte. So erlebte er nicht, dass er in seinem Bemühenwertgeschätzt wurde.
Im Grunde wünschen sich Judith undSebastian mehr Zweisamkeit. Doch noch bleiben sie in ihrem Trotz – besser ihrerHilflosigkeit - gefangen, die sie einander anschweigen lässt.
„… da geht noch was …“. Oft gehtda immer noch was! Wie bei Judith und Sebastian.
1. Jedem Vorwurf liegt ein Wunsch zugrunde: Wenn Sie dem anderen einen Vorwurf machen, fragenSie sich zünftig: was will ich eigentlich sagen? Welchen Wunsch, welchesBedürfnis möge der andere mir erfüllen? Vorsicht: Wünsche sind keine Befehle! Auchkeine verdeckten – nach dem Motto: Jetzt will ich das so! Muss der doch wissen!
Auf Judith bezogen ist es der Wunsch zu entspannen und sichwohl zu fühlen. Wenn Sebastian etwas im Haushalt mithilft, wird es ihr bessergelingen und sie wird Sebastian weniger kritisieren und mehr auf ihn zugehenkönnen.
2. Der andere ist nicht so, wie ich ihn gerne hätte, wie ich ihn mirvorstelle.
Versuche, einander zu erziehen – scheitern. Den anderen lassen,wie im Zauber des Anfangs – das Anderssein des Partners als Bereicherungerleben. Vielleicht das Eine oder Andere vom Partner selbst an sich zuentwickeln ohne glauben zu wollen, wie der andere werden zu müssen. Um GottesWillen, tun Sie dies bloß nicht – dann würde ja der Zauber der Andersartigkeitdes Partners schwinden und Sie Ihre Anziehungskraft verlieren!
Natürlich kennen meine Frau und ichsolche Konflikte nicht, zumal meine Frauebenfalls als Paartherapeutin arbeitet. Nein: Scherz am Rande! Unser mittlererSohn gab in der Runde unserer Freunde zum Besten, dass er und seine Brüder vielHumor aufbringen, um es mit zwei Psychos auszuhalten.
Geraten wir aneinander, verstrickenwir uns, wie alle anderen Paare in Teufelskreise und brauchen dann ebenfallsZeit, um wieder aufeinander zugehen zu können, um die Situation zu klären.
Worauf kommt es im Laufe der Partnerschaft an?
Voneinander zu lernen und aufeinanderzu zugehen: Sebastian lernt, mehrVerantwortung für das gemeinsame Wohlbefinden zu übernehmen. Judith lernt, die Kontrolle sich fürvieles verantwortlich zu fühlen, abzugeben und (schon vorher) zu entspannen,bevor alles perfekt geordnet ist. Beide lernen, dass Verantwortung und Genussder Zweisamkeit zusammen –gehören und diese auf Augenhöhe mitzuteilen undauszuhandeln.
Wie bei Martha und Maria.
Lk. 10,38-42: 38 Jesus kam mit seinen Jüngern in ein Dorf, wo sie beieiner Frau aufgenommen wurden, die Marta hieß. 39 Maria, ihre Schwester, setztesich zu Jesu Füssen hin und hörte ihm aufmerksam zu. 40 Marta aber warunentwegt mit der Bewirtung ihrer Gäste beschäftigt. Schließlich kam sie zuJesus und fragte: "Herr, siehst du nicht, dass meine Schwester mir dieganze Arbeit überlässt? Kannst du ihr nicht sagen, dass sie mir helfensoll?" 41 Doch Jesus antwortete ihr: "Marta, Marta, du bist um sovieles besorgt und machst dir so viel Mühe. 42 Nur eines aber ist wirklichwichtig und gut! Maria hat sich für dieses eine entschieden, und das kann ihrniemand mehr nehmen."
Aus sozialgeschichtlichem Blickwinkel ist die Geschichte von Marthaund Maria revolutionär. Zwei alleinstehende, bildungsinteressierte Frauen ladeneinen vagabundierenden Junggesellen zum Essen ein. Sie durchbrechen das gesellschaftlich-rigideFrauenbild. Da lässt sich noch vielsagen. Ich beschränke mich auf das Reden Jesu in Bezug auf den Satz: „Maria hat das bessere gewählt!“
Was ist da besser? In seinem Reden wirdzweierlei deutlich:
1. Martha und Maria durchbrechen das Rollenklischeeder damaligen Gesellschaft. Doch Martha kann sich kaum aus diesem Klischeelösen. Das kritisiert Jesus. Er kritisiert keinesfalls, dass sie sich umdas leibliche Wohl der Gäste kümmert. Jesus kann den inneren Druck und Zwang,den Neid und die Eifersucht Marthas, in diesem Rollenklischee gefangen zu sein,nachempfinden. So wie Judith: sie fühlt sich gebunden, ihrem Antreiber nachzugeben.Das macht sie unglücklich, neidisch und eifersüchtig. Doch Sebastian geht eskaum anders: auch er bleibt gebunden an das zugewiesene Rollenklischee: Männer ‚müssen‘sich versorgen lassen. (Was ihnen gleichzeitig vorgeworfen wird.) Wenn sie sichum andere kümmern und sie versorgen, ist das nicht gut genug, wird nichtwertgeschätzt.
Martha, Judith und Sebastian fehlen noch die innere, bewussteFreiheit als Erwachsene über ihre Bedürfnisse und Wünsche offen einzustehen undsie mit anderen auszuhandeln.
2. Jesus fokussiert in dieser Geschichteauf zweierlei: erstens, dass jeder entscheiden und verantworten muss, wann ersich um andere sorgt und kümmert und wann er sich um sich selbst kümmern undsorgen muss, soll, kann .., und beides gut voneinander trennen lernt. Zweitensgehören für Jesus Zeiten der Sorge und des Kümmerns, der Betriebsamkeit, und Zeitendes Zuhörens, der Zärtlichkeit und Intimität, des Loslassens und Genusseszusammen. In jeder Situation ist immer wieder neu das eine vom anderen zuunterscheiden und zu entscheiden, alleine und manchmal auch gemeinsam –gegebenenfalls auszuhandeln, was jetzt gerade, in diesem Augenblick von jedemgefordert ist: Fürsorge und Selbstsorge, eine Zeit der Betriebsamkeit oder eineZeit der Zärtlichkeit oder eine Zeit der Selbstliebe, Zeit der Bindung oderZeit der Autonomie.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Michael Bruckner 14.02.2020
Der Vortrag wurde im Rahmen der Vortragsreihe "Kirche anders" der Pfarrei St. Laurenzius in Ahrweiler am 14.02.2020 gehalten.